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Allgemein Naturwelt

Naturschutz als Lebensaufgabe – Ein Interview mit Josef H. Reichholf

Naturschutz als Lebensaufgabe – Ein Interview mit Josef H. Reichholf

Josef H. Reichholf ist eine feste Größe im deutschen Naturschutz. Der Ökologe, Ornithologe und Autor spricht im Interview über sein neues Buch Ornis sowie über Macht und Aufgaben der Vogelbeobachter-Gemeinschaft.

Zur Person: Josef Reichholf

Professor Dr. Josef Helmut Reichholf, geboren 1945 in Niederbayern, entdeckte schon früh seine Liebe zur Natur. Nach einem naturwissenschaftlichen Studium in München gründete er mit Bernhard Grzimek und anderen in den 1970ern die „Gruppe Ökologie“, den Vorgänger des heutigen BUND. Später setzte er seine Arbeit für den Naturschutz in verschiedenen Ämtern fort, unter anderem als Honorarprofessor der TU München, als Leiter der Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung München und als Präsidiumsmitglied bei WWF Deutschland. 2005 wurde er für seine Verdienste mit der Treviranus-Medaille des Verbands deutscher Biologen ausgezeichnet.

Doch nicht nur seine wissenschaftliche Arbeit selbst kennzeichnet Josef Reichholf, sondern auch seine Bemühungen, diese mit der breiten Öffentlichkeit zu teilen. Als Sachbuch-Autor und beliebter Fernsehgast gibt Reichholf allgemeinverständlich Auskunft über Wahrheit und Dichtung im Naturschutz. Reichholf scheut in seinen Thesen kein kontroverses Thema und hat sich dadurch als kraftvolle Stimme des deutschen Naturschutzes etabliert. Für seine Publikationen erhielt er 2007 den Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

In seinem jüngsten Werk, Ornis: Das Leben der Vögel, beschäftigt sich Reichholf mit den grundlegenden Fragen rund um das Wunderwesen Vogel. Wieso können Vögel fliegen, wieso haben sie Schnäbel? Warum legen Sie Eier? Die Antworten erhalten Leser mit oder ohne Vorkenntnissen als anschauliche Erklärungen. Ornis könnte somit für viele der erste Schritt auf dem Weg zur Vogelbeobachtung sein.

Josef H. Reichholf im Interview mit Vogel und Natur

Vogel und Natur hatte das Glück, Josef Reichholf zu seiner Arbeit befragen zu dürfen. Im Interview sprechen wir mit Dr. Reichholf über sein neues Buch Ornis, das Faszinosum Vogel und die heutige Rolle des Naturschutzes.

Vogel und Natur: Im Vorwort zu Ornis bezeichnen Sie Vogelbeobachter als Menschen, die „sehen, was andere Menschen nicht sehen“. Würden Sie Vogelbeobachter als besonderen Menschenschlag bezeichnen? Wie wird man vom bloßen Vogelbeobachter zum Ornithologen?

Prof. Dr. Josef Reichholf: „Nie ohne mein Fernglas“ ist eines meiner Prinzipien. Vieles in der Vogelwelt spielt sich in der Ferne ab; zu weit entfernt fürs bloße Auge. Ornithologen sehen allein schon deshalb mehr, weil sie eine entsprechend gute Optik benutzen – bis hin zu Spektiven mit 40- bis 60-facher Vergrößerung und der Möglichkeit, den entdeckten Vogel durchs Fernrohr digital zu dokumentieren. Als ‚Orni’ regiert man auf Bewegungen, die von den Augenwinkeln erfasst werden, und sieht – und hört – damit insgesamt mehr als die meisten Menschen. Denn auch das Gehör macht mit beim Ornithologen. Diese umfassende Aufmerksamkeit kennzeichnet die Vogelbeobachter. Die Entdeckungen, die man macht, verstärken den Einsatz; die Bestimmungsschwierigkeiten führen zu immer genaueren Beobachtungen. Und zu wachsender Begeisterung! Die Übergänge vom „bloßen Vogelbeobachten“ zum qualifizierten Ornithologen sind fließend, ähnlich wie beim Erlernen eines komplizierten Musikinstruments. Doch eines ist sicher: Je besser man wird, desto stärker steigen Freude und Begeisterung.

V&N: Sie waren schon als Jugendlicher ein begeisterter Vogelbeobachter. Gab es eine besondere Beobachtung oder ein Ereignis, um Ihr Interesse für die Ornithologie anzufachen?

Reichholf: Vielleicht gehörte die „Entdeckung“ der Türkentauben dazu, die ich im Winter 1958 auf dem Weg zur Schule beobachtete und zunächst nicht bestimmen konnte. Diese inzwischen längst häufige und über fast ganz Europa verbreitete Taube war erst wenige Jahre vorher in Mitteleuropa angekommen. Ganz gewiss faszinierten mich die Wasservögel, die Enten, Gänse, Möwen, Strand– und Wasserläufer aus weiter Ferne, die zu den Zugzeiten Rast an den Stauseen am Unteren Inn machten, an denen ich aufgewachsen bin, besonders stark. Die Vorstellung, dass der Schwarm Sichelstrandläufer, dem ich bei der Nahrungssuche auf den Schlickflächen der Stauseen zusah, gerade erst aus der hocharktischen Tundra gekommen und unterwegs zu tropischen Küsten war, begeisterte mich so sehr, dass ich mich kaum satt sehen konnte. Von damaligen Raritäten, wie Seidenreihern, ganz zu schweigen, die einfach wunderschön anzuschauen sind. Doch interessierten mich sehr wohl auch die Kleinvögel, die ans Futterhaus kamen; die Kernbeißer mit ihrem Riesenschnabel, die rotbrüstigen, schwarzköpfigen Gimpel und die Schar der verschiedenen Meisenarten, unter denen die kleine Blaumeise die „frechste“ war und sich gegen die Großen und Dicken behauptete. Wer sich die Zeit nimmt, Spatzen zu beobachten, wird schnell feststellen, dass auch sie es wert sind, ihnen Aufmerksamkeit zu widmen.

V&N:In Ihrem Buch Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen beschreiben Sie, wie der Mythos des Phönix auf eine Beschreibung des Brutverhaltens von Flamingos zurückgeht. Warum haben Vögel und ihr Verhalten uns Menschen schon so lange interessiert?

Reichholf: Nun, wenn man Flamingos sieht, wird man sich nicht wundern, dass auch die Menschen früherer Zeiten von ihrem Anblick fasziniert waren, und dass sie verstehen wollten, warum diese Vögel so besonders sind. Mit den damaligen Kenntnissen reimte man sich zusammen, was irgendwie zu passen schien; vom „Verglühen“ in der flimmernden Hitze der Küstenlagunen, in der die Vögel wir rote Flammen züngelten, bis zum Fund ihrer Nester im Spätherbst oder Winter, wenn die Hitze vorüber war und die Brutstätten erreicht werden konnten. Was Wunder, wenn die Menschen meinten, die Vögel wären verbrannt zu Aschehaufen, die sie dort in Form der zerfallenden Kegel fanden, die vor den Nester gewesen waren. Und irgendwann kamen sie wieder – wie Phönix aus der Asche.
Es ist wohl immer noch so, dass viele Menschen gen Himmel schauen und sich wundern, woher die Vögel kommen, die sie in Keilen und Ketten in großen Scharen dahinziehen sehen. Die Kraniche etwa, die sich gegenwärtig dank starker Zunahme ihrer Bestände auch an Orten zeigen, wo sie früher unbekannt waren. Mit trompetenartigen Rufen ziehen sie ihre Bahn; wohin? Auf neuen Routen, zum Beispiel den nördlichen Alpenrand entlang, wie in den ersten Novembertagen von 2013. Da kommt das alte Staunen auf, das die Menschen zu allen Zeiten erfasste, wenn sie die Flüge der Vögel erblickten. Und auch die alten Ängste, etwa wenn wieder einmal Seidenschwänze in großen Mengen im Winter zu uns kommen. Die Boulevardpresse bezeichnet sie dann als „Pestvögel“, weil sie einst in den unserer Zeit so fernen Jahrhunderten der Seuchenzüge der Pest so genannt worden waren. Kenntnisse verbreiten sich langsam, sehr langsam. Oft hat man als Ornithologe das Gefühl, dass sie eher ab- als zunehmen, weil die Menschen lieber „Geheimnisvolles“ mögen.

V&N: Seit Sie sich in den 70er Jahren zusammen mit Bernhard Grzimek und anderen für den Umweltschutz einsetzten, scheint sich einiges verändert zu haben. Braucht der Naturschutz heute überhaupt noch Fürsprecher?

Reichholf: Oh ja, sehr wohl! Die vergangenen Jahrzehnte haben bei weitem nicht das bewirkt, was Natur- und Umweltschützer erhofft hatten. Die Lage ist gegenwärtig eher wieder schlechter geworden. So manche ursprünglich gut gemeinte Bestimmung des Artenschutzes hat sich in ihr Gegenteil verkehrt, weil sie die Menschen von der Natur eher abhalten als sie mit ihr besser vertraut zu machen. Was soll zum Beispiel so ein Quatsch, dass man eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung braucht, um Vogelfedern aufheben (oder gar sammeln) zu dürfen, die die Vögel bei ihrer Mauser abgeworfen haben?! Oder wie ist zu verstehen, dass der Besitz einer für das Gewässer gültigen Angelkarte den freien Zutritt zu Schutzgebieten für Wasservögel eröffnet, meistens auch einschließlich des Befahrens der Wasserflächen und des Anlandens an den Ufern per Boot, während die Ornithologen von weit draußen mit Fernrohren hineinschauen müssen, weil sie keine Ausnahmegenehmigung erhalten. Wir brauchen einen Naturschutz, der die Bezeichnung verdient und der die Naturfreunde bevorzugt behandelt, nicht die Naturnutzer und Naturzerstörer, wie das im gegenwärtigen der Fall ist.

V&N: Einige Vorhersagen zum Klimaschutz bezeichnen Sie als „Katastrophismus“. Besteht in anderen Gebieten mehr Handlungsbedarf als im Klimaschutz?

Reichholf: Der Klimawandel ist längst die perfekte Ausrede für Politiker und Behörden geworden, das hier und jetzt Wichtige nicht zu tun, weil dies die Verursacher direkt treffen könnte. Verglichen mit den Auswirkungen der Landwirtschaft, die für die Natur ein „Super-GAU“ ist, aber auch mit den Folgen der Jagd (Scheu der verfolgten Arten und unnatürliche Seltenheit!), des Angelsports und der Forstwirtschaft, sind klimatische Veränderungen für die Vogelwelt bedeutungslos und kaum mehr als nur Theorie in Modellrechnungen. Solche lenken jedoch weiter ab von den eigentlichen Gründen der Rückgänge vieler Arten. Das Klima wird sich global unweigerlich ändern, weil die Menschheit wächst und wächst und mit ihr Landnutzung und Ansprüche. Wir, die wir in einem Land und Teilkontinent mit nicht mehr wachsenden Bevölkerungen und hohem Wohlstand leben, könnten uns hohe Lebensqualität für die Menschen und beste Verhältnisse in der Natur sehr wohl leisten – und mit artenreichen, vielfältigen und ökologisch stabilen Landschaften weit besser vorsorgen als mit den Milliarden, die für den Klimaschutz ausgegeben werden und die doch wirkungslos verpuffen. Nach einem Vierteljahrhundert Klimaschutz ist noch nie so viel CO2 frei gesetzt worden wie gegenwärtig. Was hat das verschleuderte Geld also genutzt? Zerstört hat es sehr viel. Es hat Tausende von Quadratkilometern höchst artenreicher, tropischer Regenwälder zugunsten der Erzeugung von Soja für unser Stallvieh und zur Biospriterzeugung vernichtet, auf dass wir mit grüner Scheinheiligkeit weiterhin global „Vorreiter“ spielen können anstatt im eigenen Land die Hausaufgaben ordentlich und vorbildlich zu machen.

V&N: Was kann der einzelne Vogelbeobachter für den Artschutz tun?

Reichholf: Sehr viel, weil es sehr viele Vogelbeobachter gibt! Ihr Wirken bewegt mehr als die papiernen Gesetze und Verordnungen. Es beginnt mit dem Sammeln von Daten über die aktuellen Entwicklungen in der Vogelwelt und führt über artgerechte Winterfütterung und die Schaffung von Nistmöglichkeiten bis hin zur Überwachung der massiven Eingriffe in die Natur und deren Folgen. Und wir könnten politischen Druck erzeugen. Denn „wir sind das Volk“ und die Mehrheit, nicht die politisch begünstigten Minderheiten und Subventionsempfänger oder die Behörden, die Eingriffe erlauben, weil sie dem Lobbydruck nicht standhalten können. Millionen Vogelbeobachter sind eine politische Kraft, der sich die Entscheidungsträger nicht verweigern können. Das zeigen Macht und Erfolge der Vogelschützer in England und in den USA. Wir sind auf gutem Weg zu ähnlicher Wirksamkeit, aber wir brauchen noch viel mehr ‚Ornis’! Sie werden kommen, und gut vernetzt, wie sie sind, wird mit ihnen zu rechnen sein.

Wir danken Professor Reichholf für das interessante Interview!

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